- Raumfahrt: Warum drängt der Mensch in den Weltraum?
- Raumfahrt: Warum drängt der Mensch in den Weltraum?Ich war so überrascht, dass ich diese ganze Verkettung von Vorfällen als Einwirkung Gottes auffasste, die mich dazu antreibe, den Menschen die Kenntnis zu vermitteln, dass der Mond eine Weltkugel ist. »Aber«, fügte ich hinzu, »ich werde mir über diese Vermutung keine Klarheit schaffen können, wenn ich nicht dort hinaufsteige.« »Und warum nicht«, antwortete ich mir sofort, »Prometheus war einstmals im Himmel, dort das Feuer zu rauben. Bin ich weniger kühn als er?«Cyrano de Bergerac, Mondstaaten und Sonnenreiche, 1657Die Geburt der RaumfahrtDas kopernikanische System der Planeten hat, kaum war es richtig bekannt geworden, die Phantasie des Dichters Cyrano de Bergerac mit der Idee erregt, man könne zum Mond fliegen —, nicht ohne dass er den Hinweis angebracht hätte, dies sei eine Herausforderung der Götter. Es bedurfte freilich noch der Einsicht in eine Reihe grundlegender physikalischer Gesetzmäßigkeiten, bis die Utopie eines Raumflugs ein konkreteres Fundament erhielt. Wiederum waren es Literaten, die sich das unerhört kühne Unternehmen zuerst ausmalten und damit zugleich die Gattung der »ScienceFiction« schufen. Die Romane von Jules Verne und Everett Hale sind die Musterbeispiele. Der Gedanke wirkte fort.Raumfahrt ist zur Realität geworden. Diese Realität gehört zu den Erfahrungen unseres Zeitalters und damit zur persönlichen Erfahrung eines jeden. Das hat unser Bewusstsein verändert. Der Vergleich mit den großen Entdeckerfahrten auf der Erde drängt sich auf, die jedermann vor Augen geführt haben, was vorher nur gelehrte Theorie war, nämlich dass die Erde eine umschiffbare Kugel ist. Die Aufarbeitung und Bewältigung der Tatsache, dass wir die Erde verlassen können, als menschliche Erfahrung und nicht nur als technisches Faktum, steht noch weitgehend aus. Sie wirft eine Fülle von Fragen auf, die es zu präzisieren gilt. Vor allem gilt es zu fragen, wohin die begonnene Reise führt. Das ist indes schwierig. Jedermann weiß, wie beschränkt unsere prognostischen Fähigkeiten sind.Die gefährliche Ambivalenz, die dem Unternehmen Weltraum innewohnt, wird sofort deutlich, wenn man repetiert, wie es zu allem kam. Die Raketentechnik erhielt ihren ersten großen Impuls, als Hitler im Zweiten Weltkrieg seine Vergeltungswaffen entwickelte. Kaum war Hitler besiegt, bemächtigten sich die beiden Machtblöcke des Kalten Kriegs dieser Technik. Der erste erdumkreisende Flugkörper, der Sputnik, war ein stolzes und provozierendes Zeichen sowjetischer Technik. Er wurde von den in ihrem Selbstverständnis zutiefst irritierten Amerikanern mit dem Mondprogramm beantwortet. Die Landung von Menschen auf dem Mond war zweifellos eine technische Glanzleistung und ein unerhörter Kulminationspunkt der bemannten Raumfahrt, aber ihr eigentliches Motiv war die Wiederherstellung des amerikanischen Nationalprestiges. Neben dem »Wir können das!« hat sie allerdings auch reiche wissenschaftliche Ausbeute gebracht. Kurzum, der Krieg, der heiße wie der kalte, war auch hier zunächst Vater aller Dinge, und die dramatische Entwicklung der Raumfahrttechnik gründet sich weitgehend auf nationale Droh- und Imponiergebärden. Da die Raumfahrt von vornherein in dieser Weise instrumentalisiert wurde, stellt sich dringend die Frage, welchen Weg diese Entwicklung in Zukunft gehen wird und wie sie sich rechtfertigt.Der praktische NutzenBei alledem darf man das Selbstverständliche nicht vergessen. Raumfahrt ist in vieler Hinsicht von allergrößter Bedeutung: Sie verfolgt wissenschaftliche, technische, ökonomische und kulturelle Ziele. Allerdings gilt es hier zu unterscheiden zwischen bemannter und unbemannter Raumfahrt. Was von wirklicher Bedeutung für kommerzielle Anwendungen und für die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, kann heute ganz überwiegend mit unbemannten Raumsonden erledigt werden. Die Bedeutung der Satellitentechnik wird bei einer kurzen Aufzählung schnell klar. Es geht um die Nachrichtentechnik, die Wettervorhersage, die Flug- und die Schiffsnavigation, die Überwachung der Erdoberfläche und der Atmosphäre aus ökologischen Gründen, sowie die Erdvermessung — alles Dinge, die der Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen dienen. Für die Naturwissenschaften eröffnet der Blick, den Satelliten auf die Erde und den Kosmos erlauben, Zugang zu ganz neuen Erkenntnissen, einerseits über das Planetensystem und die Erde, andererseits über den Aufbau und die Geschichte des gesamten Kosmos, vor allem auch, weil astronomische Beobachtungen bei Wellenlängen möglich werden, die auf der Erdoberfläche nicht zu empfangen sind. Das Gleiche gilt im Prinzip auch für Beobachtungen von bemannten Raumstationen aus, die gerechtfertigt sind, sofern die Anwesenheit eines Menschen aus zwingenden Gründen erforderlich ist.Die militärische BedeutungEbenso unbestritten ist die militärische Bedeutung der Raumfahrt. Auch hier spielen die Satelliten die Hauptrolle, bisher jedenfalls. Im Golfkrieg haben Satellitenaufklärung und Satellitennavigation eine ganz erhebliche Rolle gespielt. Aber die militärische Anwendung ist nicht auf Kriege beschränkt. Die weit entwickelte Überwachungstechnik bietet auch in Friedenszeiten viele Möglichkeiten zur Abrüstungskontrolle.So stoßen wir bei der Raumfahrt in mehrfacher Hinsicht auf die alte Ambivalenz, die der technische Fortschritt immer gezeigt hat. Er birgt Verheißung und Bedrohung zugleich. Und damit stellt sich die grundsätzliche Frage nach den ethischen Grundlagen dieser Technik: Was ist uns erlaubt zu tun? Noch ist gute Gelegenheit, gründlich über die Ziele der Raumfahrt nachzudenken, und darüber, wohin die Entwicklung strebt. Im Gründungsdokument der NASA von 1958 heißt es im ersten Satz »Aktivitäten im Weltraum sollen friedlichen Zwecken zum Nutzen der gesamten Menschheit dienen«, aber es dauerte gar nicht solange bis zur »Strategic Defense Initiative« (SDI) von Präsident Reagan, bei dem die Gefahren von Kriegshandlungen im Weltraum deutlich wurden. Man kann Abwehrwaffen im Raum stationieren, die den potenziellen Gegner herausfordern werden, Abwehrwaffen der Abwehrwaffen, also Angriffswaffen zu produzieren und ebenfalls im Raum zu stationieren. Wenn es sich ergibt, dass solche Systeme am besten von bemannten Raumfähren aus installiert und gewartet werden, wird die Konsequenz sein, auch die Raumfähren zu bewaffnen. Alles vollzieht sich dann nach der bekannten fatalen und fast selbstverständlich gewordenen Logik militärischer Konflikte. Die Fernsehzuschauer, die sich am »Krieg der Sterne« ergötzt haben, würden von der Realität nicht enttäuscht werden.Aber selbst wenn der Glücksfall eintritt, dass ein friedliches Zeitalter ohne nationale Konflikte bevorsteht, gibt es Grenzen des Erlaubten. Schon ist zum Beispiel die erdnahe Umgebung mit vielen Tausenden von Trümmerstücken gefüllt, die eine zunehmende Gefahr für neue Missionen darstellen. Auch hier entsteht das für unsere Zeit typische Entsorgungsproblem, an dem die Technik, die es hervorgerufen hat, zu ersticken droht.Sind alle diese Entwicklungen zwangsläufig, verlaufen sie nach einem unausweichlichen Muster, das sich im Gewirr der Entscheidungen kaum beeinflussen lässt? Oder kann nach Prüfung aller Konsequenzen und nach Einigung auf erstrebenswerte Normen in souveräner menschlicher Entscheidung über das Weitere befunden werden?Es besteht Anlass zur Skepsis. Der Grund liegt in den menschlichen Verhaltensmustern, die unser biologisches Erbteil sind, das sich nicht einfach ändern lässt. Den physikalischen Gesetzen, denen die Technik gehorcht, stehen biologische gegenüber, die das menschliche Verhalten regieren und die es schwer machen, der besseren Einsicht folgend zu erbringen, was nötig wäre: kollektive Verzichtleistungen. Das gilt auch für die bemannte Raumfahrt. Selbst unermessliche Ressourcen zur Verwirklichung kühner Pläne vorausgesetzt, muss man der Versuchung des Machbaren um seiner selbst willen widerstehen. Werden die Astronauten dort oben etwas tun, was für den Menschen wichtig ist, das ihm Nutzen bringt, seine Überlebenschancen sichert und seine Kenntnisse mehrt? Dies ist die Frage nach der Legitimation der bemannten Projekte.Beweggründe für die RaumfahrtDie Bewertung von Raumfahrtunternehmungen ist einfach, wo Ziele und Nutzen klar erkennbar sind. Bei den technischen und wissenschaftlichen Anwendungen der Satelliten, von denen vorhin die Rede war, stehen Nutzen und Legitimation meist außer Frage. Bei den militärischen Vorhaben hängt alles davon ab, wie sie als solche ethisch legitimiert werden können. Gegen eine Überwachung von Territorien kann man wenig einwenden, sie kann im Gegenteil friedenssichernd sein, aber jeder Schritt hin zu einer Bewaffnung des Weltraums widerspräche den Geboten der Vernunft. Aber es sind nicht nur Projekte, deren Nutzung und Zielsetzung einigermaßen klar sind, die heute betrieben werden. Manche Großvorhaben sind im Grunde genommen noch immer ähnlich motiviert, wie es beim Sputnik und dem Mondprogramm schon der Fall war, nämlich durch das Streben nach nationalem Prestige. Natürlich sind auch ganze Wirtschaftszweige entstanden, die von den für die Raumfahrt nötigen Produkten leben, und die an der Verwirklichung großer Programme, die auf Kosten der Bürger finanziert werden, ein Interesse haben, das sie mit Nachdruck durchzusetzen versuchen. Die Politiker, die die Ausgaben vor der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen, unterliegen jedoch am Ende oft der Versuchung, den wirklichen Motiven andere vorzuschieben, von denen sie meinen, sie würden vom Publikum eher akzeptiert. So ergibt sich ein Geflecht vernünftiger, irrationaler und zufälliger Beweggründe, das die Entwicklung vorantreibt.Die Faszination der ProjekteWer indessen unter den Beweggründen für die Raumfahrt nur die deutlich wahrnehmbaren sieht, nämlich den praktischen und wissenschaftlichen Nutzen sowie die politischen und wirtschaftlichen Interessen, greift zu kurz. Dies alles regt nicht die menschliche Fantasie an, wie es die Raumfahrt ganz offensichtlich tut. Sie fasziniert. In Jules Vernes Reise um den Mond wird die Rückkehr der Mondfahrer so beschrieben: »... die flammende Leidenschaft des Publikums entsprach der Größe des Unternehmens. Menschliche Wesen, die den Erdball verlassen hatten, die von solch einer seltsamen Reise in die Himmelsräume zurückkehrten, durften nicht anders empfangen werden als der Prophet Elias, wenn er wieder zur Erde niedersteigen wird.« Diese Faszination ist es letztlich, die den Raumfahrtunternehmungen den öffentlichen Rückhalt sichert. Welch aufregende Verheißung war es damals für die Amerikaner, als Präsident Kennedy versprach, innerhalb einer Dekade Astronauten zum Mond zu senden!Was sind die Quellen dieser Faszination? Die Frage führt uns zurück zu den Grundstrukturen menschlichen Verhaltens. Ein Schlüsselbegriff ist das Wort von der »Eroberung« des Weltraums. Erobern und Beherrschen sind primitive, aber wirkungsvolle, tief im menschlichen Verhalten verankerte Antriebe. Diese Triebstruktur hatte sicherlich eine wichtige Funktion in der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Sie spiegelt sich auch im biblischen »Machet euch die Erde untertan«, das nun den erdnahen Weltraum einbeziehen kann. Zum Eroberungstrieb gehört auch die Lust am Abenteuer und die Bewunderung des tapferen Menschen in gefährlichen, das Äußerste fordernden Situationen, kurz des Helden. Schließlich sind die ältesten Epen Heldensagen. So verbindet sich vieles, das die Faszination der bemannten Raumfahrt ausmacht: die Beherrschung und Erforschung der Natur, Glanz und Ausstrahlung des technischen Geräts, der Stolz, zu den Grenzen des Erreichbaren vorzudringen und die Bewunderung für die Männer, die diese Expeditionen durchführen und sich dabei in gefährlichen Grenzsituationen bewähren, wie sie uns auch bei vielen Sportarten faszinieren. Der Astronaut erscheint so als eine Heldenfigur des technischen Zeitalters, mit dem Mut, in neue, unerhörte Situationen vorzustoßen, aber mehr als ein sportlicher denn als kriegerischer Held, versehen statt des Schwerts mit einem Computer. Wie wichtig diese Faszination ist, wird durch das Zitat von Jules Verne belegt, aber auch durch die enorme Anziehungskraft, die Fernsehserien von der Art »Star Trek« (deutsche Fassung: »Raumschiff Enterprise«) auf die jüngere Generation ausüben. Dem entspricht die Tatsache, dass sich die öffentliche Teilnahme an der Raumfahrt in nennenswertem Umfang nur den bemannten Missionen zuwendet.Es tritt nun allerdings eine paradoxe Situation auf. Der Astronaut wird bei seiner Mission selbst Teil einer perfekten technischen Maschinerie, die seine individuellen menschlichen Züge gänzlich unsichtbar macht. Über seine Gedanken und Gefühle erfahren wir nichts. Mit welcher Angst muss er kämpfen? Wie empfindet er die existenzielle Bedrohung seiner Situation, sein Hineingeworfensein in den Weltraum? Seine Eigenschaften als empfindender und fühlender Mensch sind offensichtlich entbehrlich, ja wahrscheinlich sogar höchst hinderlich und unerwünscht. Das Fatale ist, dass der Astronaut bei näherem Hinsehen häufig auch als Denkender und Handelnder entbehrlich ist, da sich viele seiner Tätigkeiten ferngesteuert durch Roboter ausführen lassen. Das aber macht seine Rolle nur noch klarer. Er ist Stellvertreter des Menschengeschlechts bei einem ungewöhnlichen Abenteuer, das viele als das Abenteuer ihrer Zeit miterleben wollen. Aber »Mit-Erleben« kann man nicht mit einem Automaten. Unter diesem Aspekt wäre es, überspitzt ausgedrückt, sogar konsequent, Dichter und Maler statt der Militärpiloten und Techniker hinaufzuschicken, damit sie uns vermitteln, was über das Messbare und Fotografierbare hinausgeht.Die Rolle der BerichterstattungDie soeben beschriebene Rolle der Astronauten als Stellvertreter ist nur möglich unter einem weiteren Aspekt: Raumfahrt als öffentliches Schauspiel. Die Rezeption der Welt durch ihre Darstellung auf dem Fernsehschirm, den Fokus des abendlichen Familienlebens, verwischt den Unterschied zwischen Selbsterlebtem und der »Als-ob«-Welt des Bildschirms. So wird auch Raumfahrt miterlebt, als ob man dabei wäre, und sie tritt so in das allgemeine Bewusstsein ein. Freilich geschieht dies in mediengerechter Form, das heißt gleichzeitig mutiert zum Unterhaltungsstück, zum Teil des abendlichen Zeitvertreibs. Die Heldenrolle der Astronauten eignet sich vorzüglich hierzu, ebenso wie das ungeheure Schauspiel eines Raketenstarts. Und seit dem Challengerunglück weiß jeder, wie blutig ernst es werden kann. Hier liegt eine große Gefahr. Gewöhnung an anfänglich Sensationelles tritt schnell ein, und eine ständige Steigerung der Droge wird erforderlich. Die Starts des Spaceshuttles oder ein Astronautenwechsel auf der Mir-Station werden in den Nachrichten kaum noch einer kurzen Notiz gewürdigt. Eine Expedition zum Mars hätte da natürlich einen anderen Kurswert.Dass Bekanntes nicht für Nachrichten taugt, ist eine Binsenweisheit. Das Nachlassen der öffentlichen Anteilnahme zeigt deshalb an, dass Raumfahrt in vieler Hinsicht zu einer normalen Technik geworden ist. Die amerikanische Astronautin Shannon Lucid hat dem »Scientific American« einen ausführlichen Bericht über ihr Leben und ihre sechsmonatige Tätigkeit auf der Mir-Station gegeben. Er hinterlässt den Eindruck, dass ihr Aufenthalt zwar ungewöhnlich, aber doch auf die Dauer recht langweilig war. Eindrücklich waren vor allem die Improvisationskünste der russischen Kollegen bei den häufig notwendigen Reparaturen der technischen Einrichtungen der Station.Ein Vorteil, den die Darstellung der Raumfahrttechnik gegenüber anderen Gebieten der Hochtechnologie hat, ist jedenfalls ihre unmittelbare Anschaulichkeit. Sie ist auch für den wenig geschulten Laien fassbar und vergleicht sich dadurch vorteilhaft mit Gebieten wie der Halbleiter- und Informationstechnik oder gar der Elementarteilchenphysik.Die technische KulturWenn man zu späteren Zeiten auf unser Jahrhundert zurückblickt, wird man klarer sehen, welches seine großen kulturellen Leistungen waren. Werden es Philosophie und Künste sein, Literatur, Malerei, Musik? Für all dies gibt es in den vorausgehenden Perioden so überragende Beispiele, dass man sich fragen darf, ob unser Jahrhundert dagegen bestehen kann. Die kulturelle Kraft scheint sich in anderer Weise manifestiert zu haben, nämlich auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und Technik. Pünktlich mit Beginn des Jahrhunderts waren Relativitätstheorie und Quantentheorie auf den Plan getreten und haben zu einer glänzenden Periode in der Entdeckung fundamentaler Naturgesetze geführt. Die biologischen Wissenschaften scheinen jetzt erst einem Höhepunkt zuzustreben. In der Technik hat sich Unglaubliches ereignet, das sich durch die Stichworte: Elektronik, Halbleiterbausteine, Kommunikationstechnik, Lasertechnik, Computerentwicklung und Informationstechnik umschreiben lässt, und natürlich gehört die Weltraumtechnik an vorderster Stelle dazu.Technik als Kulturleistung? Wem das befremdlich scheint, mag unter anderem bedenken, dass große Monumente, die einer Kulturperiode Ausdruck verliehen, fast immer auch technische Meisterwerke waren: die Pyramiden, die Kuppelbauten der Römer, die Kathedralen des Mittelalters, auch die Monumente der bürgerlichen Gesellschaft, Justizpaläste, Parlamente und Opernhäuser und, hier vor allem zu erwähnen, die Ingenieursarchitektur des Stahlbaus. Das sind Zeugnisse einer bewussten und stolzen Verbindung von Ingenieurstechnik und künstlerischem Ausdruck, Symbole der technischen Kultur.Ähnlich kann man die Raumfahrt sehen: als eine selbstbewusste Leistung technischen Könnens, die einem Grundbefinden unserer Zeit kraftvoll und sichtbar Ausdruck verleiht, als Monument der technischen Kultur. Greifbar bildhaften Ausdruck findet das in der Form der Raketen und Flugkörper, die einerseits aerodynamischen Prinzipien gehorcht, gleichzeitig jedoch auch unwillkürlich phallische Assoziationen hervorruft, und in der Architektur von Raumstationen. Kurzum, Raumfahrt ist eine Leistung der technischen Kultur ersten Ranges. Sie ist in dieser Funktion ebenso nutzlos und wichtig wie, auf einer ganz anderen, eher künstlerischen Ebene, Opernhäuser es sind. Auch diese sind defizitär auf öffentliche Kosten, aber sie sind ein Symbol der musikalischen Kultur, zu der unsere Gesellschaft sich mit gutem Recht bekennt.Die Entzauberung des HimmelsEs gibt noch eine ganz andere Dimension der Raumfahrt, die mit der Entthronung der Götter und der Entzauberung des Himmels zu tun hat. Menschen sind durch die Schwerkraft an die Erdoberfläche gefesselt — wie es schien, ein unentrinnbares Schicksal. So wurde konsequent das Außerirdische in naiver Weise mit dem »oben« im Himmel Befindlichen identifiziert, die Himmelfahrt wurde zum Symbol der Transzendenz zum Göttlichen. Der Himmel hat diese Bedeutung zwar seit Jahrhunderten verloren, aber sich die Erde als Planeten vorzustellen war doch für seine Bewohner eine ziemlich abstrakte Denkleistung. Nun plötzlich können wir unsere Erdkugel in ihrer Schönheit und Zerbrechlichkeit von außen betrachten, die Raumstation ist gewissermaßen zum Olymp geworden, dessen Perspektive alle teilen dürfen. Doch die Götter lassen sich nicht so einfach entthronen. Der Versuch der Entzauberung rächt sich, indem das Außerirdische dem Mythischen assoziiert wird. Stonehenge und der New Rock in Arthur Clarkes Roman »2001« stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander. Gleichzeitig haftet der Raumfahrt, wie jeder großen technischen Weiterentwicklung, deren Folgen sich nicht ermessen lassen, eine prometheische Herausforderung an. Das alles gehört zum kulturellen Aspekt der bemannten Raumfahrt, der bisher wenig Beachtung gefunden hat. Die Ambivalenz der technischen Unternehmung, von der die Rede war, die Einsamkeit und Zerbrechlichkeit des Menschen im All, seine Gefährdung und seine existenzielle Konfrontation mit der Leere, Größe und Kälte des Universums — all das bedarf der Sensibilität künstlerischer und philosophischer Durchdringung, um es zu erhellen und es auf anderer Ebene als auf der der Vermittlung purer Fakten bewusst zu machen; eine Arbeit, die bis heute noch aussteht.VisionenDie bemannte Raumfahrt verlockt Visionäre. Visionen können sich um vieles ranken, um Religiöses, Politisches oder Technisches —, vor allem aber können sie zur Konstruktion einer Utopie führen, die zukünftige Güter verheißt gegen Opfer, die jetzt zu erbringen sind. Daher empfiehlt sich Zurückhaltung gegenüber der Sprache der Visionäre. Ein schönes Beispiel findet sich im Buch »Das Problem der Befahrung des Weltraums«, das der Ingenieur Hermann Noordung 1929 geschrieben hat und das im Übrigen eine nach dem damaligen Stand des Wissens fundierte und realistische Darstellung von möglicher Weltraumtechnik enthält, einschließlich der Konzeption einer das »Wohnrad« genannten rotierenden Raumstation. Im Überschwang über die von ihm erkannten technischen Möglichkeiten gerät der Autor jedoch schließlich ins Schwärmen:»Die Besiegung des Raumes! Es wäre die grandioseste aller nur erträumbaren Leistungen, Erfüllung höchsten Zwecks: der Menschheit geistige Errungenschaften vor ihrem endlichen Untergang in der Ewigkeit zu retten; denn erst wenn es gelänge, unsre Kultur auf fremde Himmelskörper zu verpflanzen und so über das All zu verbreiten, erst wenn die ganze Menschheit mit ihrem Tun und Hoffen und dem, was sie in vieltausendjährigem Streben errang, wenn alles das nicht mehr nur eine Laune kosmischen Geschehens sein wird, ein Zufallsereignis im Spiel der ewigen Natur, welches mit dem nur für uns so großen und in der Allwelt doch nur winzig kleinen Kügelchen Erde entsteht und vergeht: Dann wird unser ganzes Dasein erst wirklich Sinn erhalten; dann wird die Menschheit erst berechtigt sein, sich gottgesandt zu fühlen, als Werkzeug höheren — und doch nur aus ihr selbst hervorgebrachten Wirkens.«Hier taucht der beliebte Gedanke einer Besiedlung des Weltraums auf. Wird die Menschheit einst vom unbewohnbaren Planeten fliehen und den Weltraum kolonisieren müssen? Die Frage weist mehr auf die Kostbarkeit und Einmaligkeit unseres Planeten zurück, als dass sie ein auch nur im Entferntesten realistisches Ziel der Raumfahrt andeuten könnte. Die Grenze zwischen Wissenschaft und Science-Fiction wird bei solchen Überlegungen leicht überschritten. Selbst der bedeutende theoretische Physiker Freeman Dyson, einer der Begründer der Quantenelektrodynamik, hat in »Disturbing the Universe« unbefangen über die Kolonisierung des Planetensystems mit durch Strahlungsdruck getriebenen Raumseglern und sich selbst reproduzierenden Maschinen spekuliert. Darum rankt sich eine gewisse Siedlerromantik — Ideen vom Hinausgehen in die Wildnis, um sie zu erschließen.Man sollte sich besser an die nüchternen Fakten halten. In unserem Planetensystem kann man sicherlich herumreisen, aber nach zahlreichen unbemannten Missionen kennen wir uns auf den Planeten schon recht gut aus, gut genug jedenfalls, um zu wissen, dass Menschen dort nicht in natürlicher Weise existieren können. Der Weg zum nächsten Stern ist dann ein bisschen weit, und ob es dort Planeten gibt, wissen wir nicht genau. Um solche Distanzen zu überwinden, bedürfte es eines Raumschiffs, das einen merklichen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit erreichte. Dazu wäre jedoch ein ungeheuerlicher Energieaufwand nötig, um die relativistische Massenzunahme des zu beschleunigenden Objekts aufzubringen. Wenn man zu- dem bedenkt, dass der Mensch durch die biologische Evolution den Bedingungen auf dieser Erde voll angepasst, unter Weltraumbedingungen aber höchst verletzbar ist, wird klar, dass sich die Raumfahrt für alle absehbare Zukunft auf die nächste Erdumgebung, zu der natürlich auch der Mond gehört, beschränken muss.Die Haupthindernisse für wirklich ausgreifende Unternehmungen sind in der Tat eher biologischer als physikalischer Natur. Die menschliche Lebensdauer ist zu kurz im Vergleich zu den Zeiten, die zur Überwindung kosmischer Distanzen selbst bei hohen Geschwindigkeiten nötig sind. Dazu kommen die anderen körperlichen und psychischen Bedingtheiten des Menschen. Nur eine weitere Vision, eine Horrorvision freilich, könnte Abhilfe schaffen: der durch die Kunst der Gentechnik angepasste Astronaut.Die realistischen PerspektivenWas sind, demgegenüber, die realistischen Perspektiven bemannter Raumfahrtunternehmungen? Welche in Zukunft wichtigen Projekte rechtfertigen es, die Fähigkeiten zur bemannten Raumfahrt zu bewahren und die Technik weiterzuentwickeln? Darauf gibt es viele, aber keine eindeutigen Antworten. Ein Beispiel: Die deutsche SAPHIR-Studiengruppe, die sich aus Philosophen und Raumfahrtspezialisten zusammensetzt, hat drei denkbare Großprojekte der bemannten Raumfahrt für die Zukunft identifiziert, von denen zwei gegebenenfalls der Sicherung der Lebensgrundlagen zugerechnet werden können. Es sind dies: Sonnenenergieversorgung mit erdnahen Kollektoren, Gewinnung des Isotops Helium-3 aus dem Mondgestein als Brennstoff für Fusionsreaktoren und schließlich eine bemannte Expedition zum Mars. Ein näherer Blick auf die Projekte enthüllt ihren Charakter.Bei der Sonnenenergiegewinnung sollen große Areale von Halbleiter-Photozellen geostationär installiert werden, wobei die Energieübertragung auf die Erde durch einen Mikrowellenstrahl erfolgt. Man denkt an eine erzielbare Leistung von zehn Gigawatt bei einer Kollektorgröße von 100 Quadratkilometern. Aber für jede solche Station müsste Material in der Größenordnung von 100 000 Tonnen in den Raum transportiert werden, was ökologisch nicht unbedenklich wäre, und es müsste wahrscheinlich umfangreiches permanentes Wartungspersonal stationiert werden. Da die so gewonnene Energie zudem sicher extrem teuer wäre, um ein Vielfaches teurer als beispielsweise die Energie aus terrestrischen Solaranlagen, sollte man sich zunächst der Nutzbarmachung der terrestrischen Solarenergie widmen, wobei natürlich auch prinzipiell zu fragen ist, ob jemals ein Energiebedarf bestehen wird, der über das hinausgeht, was mit terrestrischen Anlagen künftig zu erzielen ist.Ähnlich steht es mit der zweiten Idee, das Isotop Helium-3 im Tagebau auf dem Mond zu gewinnen und aufzubereiten. Helium-3 hat als Brennstoff für Fusionsreaktoren gegenüber dem auf der Erde verfügbaren Tritium Vorteile, weil es weniger Radioaktivität in der Anlage verursacht. Aber wann Fusionsenergie technisch genutzt werden kann, ist noch überhaupt nicht absehbar.Die Idee schließlich, eine bemannte Mission zum Mars zu schicken, wird immer deutlicher artikuliert. Eine solche Mission wäre auf eine Dauer von vielen Jahren angelegt, aber es ist ungewiss, welche wissenschaftlichen Ergebnisse, die nicht telemetrisch gewonnen werden könnten, zu erwarten wären. Das teure Unternehmen wäre wohl hauptsächlich unter der Rubrik »Eroberung« zu verbuchen. Die Abwägung des Aufwands für ein solches Projekt gegen denjenigen zur Befriedigung naheliegenderer menschlicher Bedürfnisse ist eine Frage der Ethik. Unter diesem Aspekt handelt es sich bei einer solchen Mission um kulturellen Luxus, und wer sie befürwortet, muss jedenfalls die Frage »Kann Luxus moralisch vertretbar sein?« mit Ja beantworten.Alle drei hier als Beispiel geschilderten Projekte, oder andere, die an ihre Stelle treten mögen, erfordern riesige Anstrengungen und gewaltige Mittel. Kein Land wird in der Lage sein, das allein aufzubringen, sodass internationale Kollaboration in großem Stil nötig wäre. Die Visionäre sehen hier ein Weltunternehmen entstehen, ein Projekt der gesamten Menschheit, das alle Staaten zu friedlicher gemeinsamer Arbeit zwingt und dessen einigende Funktion allein den Aufwand lohnt. Zur technischen Utopie tritt hier offenbar die politische.Nach aller Erfahrung wird man zunächst fortfahren, das technisch Machbare auch zu machen, sofern sich die Mittel dafür beschaffen lassen. Nationales Prestige und militärisches Interesse werden weiterhin eine Rolle spielen, wenn auch vielleicht eine verdecktere. Eine große internationale Raumstation wird bereits gebaut und dann vielleicht eine Mondstation. Aber es sollte bedacht werden, dass diese Unternehmungen im Hinblick auf das menschliche Wohlergehen keine große Eile haben, und man sollte sich an die Zeitspannen erinnern, die der Bau der Kathedralen erfordert hat. Es werden sicher große technische Leistungen erbracht werden, von denen schon die Rede war. Es wäre zu wünschen, dass sich erfüllte, was der Direktor der amerikanischen Weltraumbehörde, ganz den kulturellen Aspekt im Sinn und nicht ohne bemerkenswertes Pathos, so formulierte: »Our exploration of the unknown will lead to discoveries of new worlds and generate new knowledge that stirs the soul, nourishes the mind and enriches our lives.«T. Mayer-KuckukGrundlegende Informationen finden Sie unter:Raumfahrt im 21. Jahrhundert: Evolution und Vision
Universal-Lexikon. 2012.